
Gewalt ist in Verfahren über Obsorge- und Kontaktrecht ein ebenso häufiges wie schwieriges Thema. Betroffene sind oft traumatisiert, verstört und belastet. Gerichte, Sachverständige, Familiengerichtshilfe und Opferschutzeinrichtungen sind (heraus)gefordert. In der Praxis ist es schwierig. Nicht nur physische, sondern auch psychische Gewalt kann schwere Folgen bei Betroffenen auslösen und auch miterlebte Gewalt ist für Kinder dramatisch. Die Rechte von Kindern sind (verfassungs)rechtlich verankert. Gesetzlich festgelegt ist auch das Gewaltverbot in der Erziehung. Voraussetzung dafür, dass Kinder (rechtlich) geschützt werden ist aber, dass die Gewalt überhaupt erkannt wird. Seit 2024 gibt es eine Handreiche vom Justizministerium, die sich vor allem an Familienrichter:innen richtet, zum Umgang mit Gewalt in Verfahren rund um Obsorge und Kontaktrecht.
Formen von Gewalt
Es gibt unterschiedliche Formen von Gewalt. Die „gesunde Watschn“ ist längst nicht mehr salonfähig. Auch vor Gericht nicht. Etabliert und allgemein bekannt ist, dass körperliche Gewalt durch einen Elternteil gegen Kinder jedenfalls eine Kindeswohlgefährdung darstellt. Während das natürlich richtig ist, erscheint es manchmal noch nicht ausreichend im Fokus, dass auch von Kindern miterlebte Gewalt gegen eine nahe Bezugsperson eine Form von Gewalt gegen Kinder darstellt. Noch schwieriger wird es, um Verständnis zu haschen, wenn das Kind zwar nicht gesehen hat, wie ein Elternteil den anderen körperlich misshandelt hat, aber dafür psychische Gewalt gegen einen Elternteil miterlebt hat.
Und das Kind immer wieder Aussagen mitanhören musste, wie: „Ich wünsche mir, dass du stirbst, du bist das Letzte, du kannst nichts, hast nichts und bist nichts ohne mich, du bist psychisch krank, du wirst auf der Straße enden ect…“ Laut der Handreiche des Justizministeriums umfasst psychische Gewalt alle Handlungen und Äußerungen von Eltern gegenüber oder vor dem Kind, die das Kind in Angst versetzen und die die körperliche und/oder psychische Entwicklung des Kindes maßgeblich beeinträchtigen. Das Schlechtmachen und Abwerten des anderen Elternteils vor dem Kind wird in der Handreiche auch explizit als psychische Gewalt gegenüber Kindern qualifiziert.
Gerichtsverfahren bei Familien mit Gewaltproblematik
Auch wo es Gewalt in der Familie gibt, muss über Fragen wie Obsorge und Kontaktrecht gesprochen werden. In derartigen Verfahren können aber nicht dieselben Regeln gelten, wie in Verfahren wo es zwar Konflikte zwischen Eltern gibt aber keine Gewalt. Viele Familienrichterinnen sind bereits sensibilisiert. Manchmal erlebt man aber auch, dass Opfer von (psychischer) Gewalt vor Gericht nicht ernst genommen werden, dass ihre Erfahrungen klein gemacht und sie erneut erfahren müssen, dass es aussichtlos ist, sich gegen den vermeintlich übermächtigen Partner aufzulehnen.
Was sind Herausforderungen in Pflegschaftsverfahren bei Gewalt in der Familie
Gerichte haben einen immensen Arbeitsanfall zu bewältigen. Gerade auch im Familienrecht versuchen Gerichte Einigungen zu fördern. Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass es dem Wohl des Kindes am besten entspricht, wenn es Kontakte zu beiden Elternteilen gibt, sich die Eltern einig werden und der Blick auf die Zukunft statt Vergangenheit gerichtet ist. Das ist an sich sinnvoll. Wenn sich Menschen auf etwas einigen, sind alle zufriedengestellt und auch den Kindern geht es besser. Bei einer Gewaltdynamik ist das aber anders. Wird hier gerichtlich auf eine Einigung gedrängt, führt das teilweise zu Lösungen, in denen Gewaltopfer einfach allem zustimmen, nur um der Situation zu entkommen, „nur damit es aufhört“. Das ist aber vielleicht nicht die Lösung, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Gerade psychische Gewalt ist schwer nachzuweisen. Es ist nicht möglich, einen Ambulanzbericht über seelische Grausamkeiten vorzulegen, wie man das bei einem gebrochenen Arm tun kann. Wesentlich ist, dass Familienrichter und Richterinnen unterschiedliche Formen von Gewalt in einer Familie erkennen. Nur dann können Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Es gibt immer wieder Konstellationen, wo eine Person nach außen, vor Gericht schillernd auftritt. Vielleicht hat diese Person eine beeindruckende berufliche Karriere, drückt sich gewählt aus und erscheint vor Gericht freundlich und charmant, während hinter verschlossenen Türen ein ganz anderer Wind weht und die eigene Familie tyrannisiert wird.
Teilweise sind Menschen und vor allem Kinder, die lange psychische Gewalt erfahren haben, auch nicht in der Lage, diese stringent und rational, chronologisch richtig und in sich schlüssig in einer Einvernahmesituation vor Gericht zu schildern. Sie werden manchmal als instabil, belastet und „hysterisch“ wahrgenommen. Oft fällt es Betroffenen schwer, erlebte Demütigungen oder Beschimpfungen zu schildern oder zu gewichten, was an der Fülle an Geschehnissen „relevant“ ist im rechtlichen Rahmen.
Fazit
Die Handreiche vom Justizministerium stellt einen wichtigen Schritt dar. Sie nennt klar beim Namen, dass auch miterlebte Gewalt Kinder an einer gesunden Entwicklung hindert und daher als eine Gefährdung des Kindeswohls bewertet werden muss. Die Handreiche verweist darauf, dass nicht jede Gewalthandlung eines Elternteils gegenüber dem anderen Elternteil eine Einschränkung oder Entziehung der Obsorge bzw. des Kontaktrechts rechtfertigt aber jede Form von Gewalt wahr und ernst genommen werden müsse. Es bleibt aber den jeweiligen Richterinnen und Richtern überlassen, wie intensiv sie sich mit der Handreiche auseinandersetzen möchten. Unzweifelhaft gibt es viele sehr engagierte Richterinnen und Richter im Familienrecht. Es wäre aber wünschenswert, die Handreiche bei Richter:innen noch stärker bekannt zu machen.
Ebenso könnte, gerade beim Thema Gewalt in Familien, noch enger, interdisziplinär mit der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch mit Gewaltschutzeinrichtungen zusammengearbeitet werden und Standards für den Austausch zur Erkennung von allen Arten von Gewalt und den Umgang damit erarbeitet werden. Es gibt zahlreiche Optionen, die im Zusammenhang mit Gewalt und Pflegschaftsverfahren gerichtlich forciert werden können: Beispielsweise die abgesonderte Vernehmung (ohne Beisein des anderen gewalttätigen Elternteils) oder auch die Geheimhaltung der Wohnadresse von Gewaltopfern. Auch kann richterlich zB ein Anti Aggressionstraining angeordnet werden. Ob von solchen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, obliegt dem Gericht.
Das Kontaktrecht zwischen Eltern und Kind ist ein Grundrecht. Das hat seine Richtigkeit. Kinder brauchen beide Eltern. Auch das ist richtig. Es bedarf aber mehr Sensibilität für Betroffene und vor allem für Kindern vor Gericht in Verfahren, wo um das Kontaktrecht gestritten wird und es Gewalt in der Familie gibt. Immer wieder wird vom Gericht, wenn es um Kontakte zum gewaltausübenden Elternteil geht, vermittelt, „wir müssen in die Zukunft schauen“.
Grundsätzlich ja. In die Zukunft schauen ist eine gute Sache, wenn die Vergangenheit nicht schön war. Bei Gewalt in der Familie, sollten aber allgemeine Grundsätze außer Kraft treten. Unmittelbar zu verlangen, dass Konflikte auf Paarebene nicht mehr thematisiert werden, sondern die Eltern nun auf Elternebene neue Wege der Zusammenarbeit finden mögen, kann nicht immer das Credo sein. Einem Elternteil, der Gewalterfahrungen gemacht hat vorzuschlagen, in die Zukunft zu blicken, auf das Beste zu hoffen und mit dem anderen gewalttätigen Elternteil eine „Kommunikations- und Kooperationsbasis“ aufrecht zu erhalten ist manchmal einfach unzumutbar. Bei Gewalt muss der Schutz der Kinder und der Betroffenen oberste Priorität haben.
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